story4good

Der PR-Krimi – Teil 1

20 Februar 2023
0

Vorbemerkung: Im März 2017 schrieb ich einen Artikel für die Zeitschrift Politik & Kommunikation zu den Parallelen zwischen den Methoden von Krimiautoren, die Wahrheit zu verschleiern und denen in der politischen Kommunikation. Vor Kurzem bin ich wieder auf diesen Artikel gestoßen, als ich zur Vorbereitung eines Buches über „Storytelling und Meinungsmanipulation“ in alten Texten stöberte. Da ich ihn immer noch relevant, vielleicht relevanter denn je, finde, hier der ungekürzte Text als Teil 1 (Teil 2 folgt bald):

Der Mörder ist immer der Gärtner

Information und Missinformation in der Kriminalliteratur
und die Parallelen zu PR-Methoden (Teil 1)

„But everything fits in perfectly well if you can only make up your mind what is reality and what is illusion.“
Agatha Christie, The Do it with Mirrors

Wie Krimiautoren arbeiten und was das mit öffentlicher Kommunikation zu tun hat.

Jede Krimi-Leserin kennt wahrscheinlich diesen Aha-Effekt beim Lesen eines klassischen Krimis: Man hat sich durch zweihundert oder mehr Seiten der Geschichte gearbeitet, ist im Dunkeln getappt, hat sich gegruselt, hatte Momente der Erkenntnis, in denen man eins und eins zusammenzählte und das Gefühl hatte, dem Kommissar oder dem Privatdetektiv um eine Nasenlänge voraus zu sein und dann wieder an den eigenen Thesen gezweifelt. Jetzt ist man bei der Auflösungsszene angelangt. Der Detektiv versammelt die Beteiligten Personen im Kaminzimmer und rollt noch einmal die ganze Geschichte auf. Er geht nach und nach auf alle falschen Fährten ein, die die Autorin geschickt gelegt hat und zeigt, warum keine von ihnen den wahren Tatverlauf und die Geschehnisse davor und danach erklären können. Dann kommt der große Moment. Der Detektiv oder Kommissar benennt den Täter und er-klärt, wie er den Fall gelöst hat. Und wenn der Krimi handwerklich gut und sauber konstruiert wurde, schlagen wir uns tatsächlich oder innerlich an die Stirn: Warum sind wir da nicht drauf gekommen? Alles deutete doch darauf hin! Wie konnten wir die Hinweise übersehen, die der Detektiv jetzt aufzählt. Warum haben wir sie nicht richtig eingeordnet? Nicht im richtigen Licht gesehen. Schlagartig erkennen wir das Bild. Und fragen uns, warum wir so blind waren.

Dieser Aha-Effekt ist kein Zufall. Und er hat seinen Grund (meistens) auch nicht darin, dass wir einfach zu dumm sind oder unaufmerksam waren. Dieser Aha-Effekt ist das Ergebnis einer sehr sorgfältigen Konstruktion. Die Folge der Kunstfertigkeit, Geschicklichkeit und Handwerk auf Seiten der Autorin oder des Autoren und von ihrer tiefen Kenntnis davon, wie wir Menschen Informationen aufnehmen und verarbeiten. Die Kunst besteht darin, die relevanten Informationen zu geben und Hinweise auf die Wahrheit zu liefern, aber gleichzeitig alles zu tun, damit der Leser sie nicht richtig deutet.

Ein klassischer Krimi besteht daher immer aus zwei Geschichten. Die erste Geschichte ist die Wahrheit. Das was wirklich passiert ist. Über dieser Wahrheit liegt ein Schleier des Nicht-wissen und Nichtverstehens. Als Leser versuchen wir im Verlauf der Geschichte diesen Schleier zu lüften. Die zweite Geschichte ist der Schleier selbst, seine verschiedenen Teile und all die Theorien und Interpretationen, die wir im Verlauf des Lesens entwickeln. Alle Irrtümer, denen wir aufsitzen und alle falschen Fährten, denen wir gedanklich folgen. Zusätzlich wird die Wahrheit verdeckt von den Lügen, die von der Wahrheit ablenken sollen und diese verstellen.

In dem Deutschen Kommunikationskodex des Deutschen Rats für Public Relations vom 29. November 2012 heißt es:

„(9) PR- und Kommunikationsfachleute sind der Wahrhaftigkeit verpflichtet, verbreiten wissentlich keine falschen oder irreführenden Informationen oder ungeprüfte Gerüchte.“

Unternehmen, politische und andere Akteure, die professionelle PR betreiben, müssen also darauf achten, dass sie einerseits nicht ausdrücklich „Lügen“, sie haben aber dennoch manchmal ein Interesse daran, dass die Bürger die ganze und wahre Geschichte nicht erkennen und verstehen können. Es gibt häufig ein starkes Interesse von verschiedenen Akteuren, diese Wahrheit zu verdecken oder sie zumindest zu verzerren. Manchmal geht es auch darum, nur bestimmte Aspekte kommunizieren zu wollen oder zu müssen, andere aber nicht. Manchmal soll der Fokus gelenkt werden, wie mit einem Scheinwerfer bestimmte Menschen und Themen in helles Licht getaucht werden, andere sollen möglichst im Schatten verschwinden. Die öffentliche Kommunikation ist ganz selten frei von solchen Eigeninteressen der „Erzähler“. Und jede Kommunikation oder Geschichte trifft natürlich auch auf ein starkes Magnetfeld von Interessen, die die Geschichte wiederum für ihre Zwecke verbiegen und ver-zerren können und manchmal auch wollen.

Dieses Spannungsfeld deckt sich meiner Ansicht nach teilweise mit der Herausforderung des Autors oder der Autorin eines klassischen „whodunnit“ („Wer war der Täter“)- Krimis. Hier wie dort verlangt der Leser / der Bürger, dass er über die Ereignisse ausreichend informiert wird. Hier wie dort hat aber der Autor das Interesse bzw. kann es haben, dass der Leser die Wahrheit über bestimmt Ereignisse und Verhältnisse nicht oder erst später herausfindet. Dennoch muss die Krimiautorin, zumindest nach den Regeln der klassischen Krimistruktur, fairerweise und um das „Miträtseln“ des Lesers zu ermöglichen, alle relevanten Informationen mitteilen. Sie muss also kommunizieren, in der Hoffnung, dass der Leser die „Hidden Story“ nicht oder erst ganz am Ende erkennt und versteht.

Als mir diese Parallele auffiel, habe ich mir die Sekundärliteratur zur Krimitechnik in Hinblick darauf angesehen, welche Methoden der Beeinflussung der Realitäts- und Faktenwahrnehmung in der Öffentlichkeit durch Politik, Journalismus und politische PR mit Krimitechniken vergleichbar sein könnten (insbesondere das hervorragende Buch „Beeinflussung und Steue-
rung des Lesers in der englischsprachigen Detektiv- und Krimiliteratur“ von Michael Dunker, aus dem viele der folgenden Krimi-Beispiele und einige der Methoden stammen und das für eine vertiefte Beschäftigung mit dem Thema sehr zu empfehlen ist).

Wir sind alle Detektive

Es gibt noch einen anderen Aspekt, der Parallelen zwischen der Konstruktion von Krimis und der öffentlichen, besonders der politischen Kommunikation bietet: Viele Menschen rezipieren die Informationen durch Presse und andere Quellen immer mehr, als wären sie Leser eines Krimis. Sie sind immer auf der Hut, nicht irregeführt zu werden, besonders in den heute sehr skeptischen „Lügenpresse“-Zeiten. Viele kritische Leser lesen Artikel und rezipieren z.B. die Kommunikation von Politikern oder politischen Parteien, ebenso wie die Informationen von Unternehmen auf der Suche nach Lügen, Inkonsistenzen, Interessenverzerrungen, Irreführungen, auf der Suche nach dem cui bono (wem nützt es), nach Fehlern, nach Hinweisen auf die hidden story, auf das, was wirklich passierte. In vielen Fällen ist das ein uninformiertes Misstrauen, eine überzogene Skepsis.

Aber es gibt natürlich tatsächlich viele Geheimnisse, Lügen und Verschleierungen in der öffentlichen Kommunikation sowohl von Regierungen, als auch von Unternehmen. Sie nutzen geschickt die Instrumente des Spins, der emotionalen Manipulation, etc., um nur die Informationen rauszugeben, die sie veröffentlichen müssen (aus rechtlichen, politischen oder PR-Gründen), aber dennoch die Rezeption so weit wie möglich zu leiten und zu kontrollieren.

Es wäre sehr nativ, anzunehmen, dass der Öffentlichkeit immer die komplette Wahrheit gesagt würde. Genauso, wie es überzogen und paranoid ist anzunehmen, die Öffentlichkeit würde grundsätzlich und durchgängig von Regierung, Unternehmen und der „Lügenpresse“ angelogen.

Methode 1: Jetzt sag schon!

Ein Mittel der Verschleierung, aber auch der Spannungserzeugung, sind sogenannte „Unbestimmtheitsstellen“. Das sind Auslassungen in der Geschichte, also das „Nicht-Erzählte“, die Lücken. In einem klassischen Krimi sind das z.B. immer die Identität des Mörders und der genaue Ablauf des Tathergangs.

Unbestimmtheitsstellen in Krimis, aber auch im wahren Leben, lösen in den meisten Menschen kriminalistische Ambitionen aus und den starken Wunsch, das Rätsel zu lösen und damit die Unbestimmtheitsstelle zu schließen. Diesen spannungserzeugenden und Neugier-auslösenden Effekt konnte man zum Beispiel gut im Fall der italienischen Schriftstellerin Elena Ferrante beobachten. Allein die Tatsache, dass sie ihre Identität und ihren Namen geheim halten wollte, weckte eine so große Neugier, dass die „Aufdeckung“ ihrer Identität und die Details ihrer Person und ihres Lebens die bekannt wurden – und die denkbar alltäglich und unspektakulär waren – ein riesiges Presse-Echo erfuhren. Hätte sie diesen Geheimhal-tungswunsch nicht gehabt, wäre ihr Privatleben sehr viel weniger interessant gefunden wor-den. Das soll keine moralische Wertung beinhalten, sondern ist schlicht eine strategische und taktische Analyse. Wenn etwas geheim gehalten wird, gehen Menschen sofort davon aus, dass es interessant ist. Der Wert einer geheimen Information steigt und unsere Neugierde und unser Ehrgeiz werden geweckt.

In der öffentlichen Kommunikation gibt es viele tatsächliche und natürlich auch viele vermeint-liche Unbestimmtheitsstellen. Jede offensichtliche „Lücke“ in der Erzählung, sei es in Bezug auf Motive, Täter, Begehungsformen, Hintergründe, Zusammenhänge, löst diese Rätselspannung aus. Schwer zu sagen, warum wir mit Leerstellen, Rätseln, Ungewissheiten und offenen Fragen so schwer umgehen können. Vielleicht können wir es als Menschen einfach nicht lange in einer unerklärten und unerklärlichen Realität aushalten, da wir darin unsere Orientierung verlieren und uns nicht mehr sicher fühlen.

Woran es auch immer liegt, sicher ist, dass nichts Menschen so sehr neugierig macht, wie ein Geheimnis. Hier lauert eine Gefahr in der öffentlichen Kommunikation für den Fall, dass eine Information nicht gegeben werden darf oder kann. Die Journalisten und die Menschen werden dann notgedrungen spekulieren und, wie bei einem Krimi, den „Fall“ „lösen“ wollen. Kurz nach einem Ereignis wie einem Terroranschlag oder im Fall von unaufgeklärten Verbrechen müssen mit diesen Unbestimmtheitsstellen zu leben und es ist auch ein Zeichen von Reife, diese Spannung auszuhalten.

Menschen lieben spannende Geschichten, Rätsel und Geheimnisse und sehen dadurch manchmal Verbrechen, Intrigen, Rätsel, Zusammenhänge dort, wo es keine gibt. Das führt dann im Exzess zum Wuchern von Verschwörungstheorien und einem großen Misstrauen gegenüber Politikern, anderen wichtigen Personen des öffentlichen Lebens und Journalisten (Stichwort: „Lügenpresse“ und fake news, s.o.). Wenn die fake news oder die vereinfachten, verzerrenden oder schlicht falschen Geschichten von manchen Politikern oder Agitatoren die spannenderen und dramaturgisch besseren Geschichten liefern, hat die langweilige, banale und unübersichtliche Wirklichkeit ausgedient.

Aber es gibt auch viele Situationen, in denen Menschen einen sehr guten Instinkt beweisen und tatsächliche Unbestimmtheitsstellen und Auslassungen in der Geschichte richtig erkennen. Die Öffentlichkeit „riecht“ richtigerweise, dass etwas an der Geschichte, die man ihr vorsetzt, nicht stimmt. Die Motive sind unplausibel, die Reihenfolge der Ereignisse ist falsch, die Vorgänge passen nicht zu dem Charakter der handelnden Figuren etc. In diesen Fällen ist es gut, dass Bürger und investigative Journalisten keine Ruhe geben, bis bestimmte Zusammenhänge aufgeklärt sind, wie etwa im Fall der Ermordung von John F. Kennedy, dem Tod von Rainer Barschel in einem Genfer Hotel oder den vielen Unstimmigkeiten bei der Aufklärung der Mordreihe durch die NSU.

Methode 2: Ich sehe was, was du nicht siehst

Eine weitere gängige Technik der klassischen Detektivliteratur besteht darin, dem Leser eine lösungsrelevante Information zwar zu vermitteln, sie aber gleichzeitig so zu verbergen, dass er ihre Relevanz nicht erkennt. In Agatha Christies Roman The Sittaford Mystery, werden in einer lange Liste die Gegenstände aufgeführt, die im Schrank in der Hütte des Ermordeten gefunden werden, unter anderem zwei Paar Skier. Das zweite Paar Skier benutzte der Mör-der, um zu der Hütte zu gelangen und dort den Mord auszuführen, Da er auf Skiern wesentlich früher im Haus sein konnte als der Ermittler (und der Leser), die ihn zu Fuß wähnen, errechnet haben, verschafft er sich so ein perfektes Alibi. Die Relevanz der Skier, insbesondere der Tatsache, dass es zwei Paar gab, wird aber von dem Leser nicht erkannt, da geschickterweise noch weitere Sportzubehör-Gegenstände aufgeführt werden, wie Golfschläge, Tennisschläger, Angel-Zubehör, so dass die Skier im Kopf des Lesers in einem unscharfen Sportzubehör-Haufen untergehen. Wir denken nur an ihre Funktion als Sportgerät und nicht an ihre Funktion als reines Fortbewegungsmittel.

Ähnlich geschieht es oft in der PR und in der politischen Kommunikation. Informationen können in plain sight versteckt werden, in dem sie in einer Menge komplizierter Fachinformation, Fachbegriffen und komplexen Zusammenhängen untergehen. Dies geschieht häufig unfreiwillig, aber manchmal auch vorsätzlich.

In der politischen Kommunikation von Seiten der Regierung wird diese Verschleierungstaktik häufig bei Gesetzgebungsverfahren verwendet, in dem z.B. Gesetze zu Gesetzes- und Maßnahmenbündeln verschnürt und ineinander geschachtelt werden wie russische Babuschka-Puppen, bis die einzelnen Maßnahmen und vor allem die gesamte politische Zielrichtung und Strategie dahinter für den Laien und selbst für einen gut informierten Journalisten nicht mehr erkennbar ist. Gute Beispiele hierfür sind die sogenannten Freihandelsverträge TTIP, CETA, TISA etc., in denen Abkommen über die Senkung von Zöllen mit Investitionsschutzvorschriften, stark privatisierungsfördernden Regelungen, Einrichtung von Schiedsgerichtsbarkeitsverfahren und vielen anderen Elementen verzahnt wurden. Ein anderes Beispiel war die Gesetzgebung zur Maut-Erhebung auf deutschen Autobahnen, die Teil eines komplexes Prozesses hin zur Privatisierung der deutschen Fernstraßen-Infrastruktur zu sein schien, was aber nur teilweise offengelegt und erklärt wurde, da den handelnden Politikern der Widerstand der Bevölkerung gegen eine solche Privatisierung bekannt ist.

(Ende Teil 1)

Leave a comment:

* required