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Top Gun in Taurus

17 April 2024
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PR-taktische Überlegungen zur Taurus-Abhöraffäre

aus der Reihe: Propaganda und Storytelling

Es ist immer schön zu erkennen, dass ein vor einer Weile geschriebener Text noch Relevantes für die politische Gegenwart enthält. Auch bei der noch relativ aktuellen „Taurus-Abhöraffäre“ (von Anfang März 2024, da wir aber in so bewegten Zeiten leben, kommt es einem vor, als wäre es Monate her) musste ich kürzlich an eine Methode aus meinem Artikel zu Krimi-Methoden in der PR aus der Zeitschrift „politik und kommunikation“ aus dem Jahr 2017 denken, da hier meiner Meinung nach von Seiten des Verteidigungsministeriums genau die dort beschriebene Methode verwendet wurde. Hier zunächst ein Ausschnitt aus dem alten Artikel, in der ich die Methode beschrieben habe:

(den ganzen Artikel findet ihr hier.)

 

„Methode 5: Aber das ist doch viel spannender

Es gibt aber auch noch eine andere Form der Aufmerksamkeitsablenkung, die etwas subtiler ist als der Knalleffekt: Das Legen von „falschen Fährten“. Hier wird die Aufmerksamkeit der Leser nicht durch ein anderes Ereignis abgelenkt, sondern durch eine andere Frage, ein anderes Rätsel, eine andere Aufgabe. Ihre mentale Energie wird umgelenkt auf eine falsche Fährte, um die Aufmerksamkeit und die analytischen Fähigkeiten der Menschen zu „binden“ und sie so von der eigentlich wichtigen Hauptfrage abzulenken.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür waren die Reaktionen der NSA, der U.S.-amerikanischen Regierung, der U.S.-amerikanischen und sogar in großen Teilen auch der deutschen Berichterstattung über die neuesten leaks zu den Abhörtechniken der NSA via technischer Geräte von Apple und Samsung wie Fernseher und iPhone Apps (die sogenannten „vault 7 leaks“ durch wikileaks). Damit die Menschen sich nicht mit der eigentlichen Hauptfrage des Bruchs von Grundrechten, Strafrecht und Völkerrecht durch die Abhörmaßnahmen von Geheimdiensten beschäftigten, wurde die Aufmerksamkeit und das „Knobeln“ geschickt auf die folgenden Rätselfragen gelenkt: „Was sind die technischen Hintergründe, die diese Abhörtechniken erlauben?“, „Wie kann ich meine Geräte vor diesen Abhörtechniken schützen?“, „Wie ist diese Information nach außen geleakt? Wer hatte Zugang zu diesen Informationen und hat sie weiter gegeben? War es wieder ein Russischer Spion?“.“

Auch in der Kommentierung der und Berichterstattung zur aktuellen Affäre um das abgehörte Gespräch von vier hochrangigen Bundeswehrsoldaten der Luftwaffe wird genau diese Technik verwendet, die nicht nur die Aufmerksamkeit umlenkt, sondern auch durch geschicktes Framing „Täter“ zu „Opfern“ macht:

In dem abgehörten (durch wen ist nicht bekannt) und durch RT geleakten Gespräch, besprechen hochrangige Bundeswehrangehörige den Einsatz von Taurus-Raketen im Ukrainekrieg gegen Russland und spielen dabei unter anderem das Szenario von Angriffen auf die Kerchbrücke, die die Halbinsel Krim mit dem Festland verbindet, durch. Manche sprechen auch von einer Planung dieser Angriffe im Rahmen des Gesprächs.

Mir scheint es so, dass die Militärs in dem Gespräch überlegen, ob eine Lieferung von Taurusraketen und deren Verwendung im Krieg nur mit dem Einsatz deutscher Bundeswehrsoldaten erfolgen kann (was völkerrechtlich höchstwahrscheinlich einem Kriegseintritt Deutschlands gegen Russlands gleichkommen würde, s. dazu z.B. das Gutachten der wiss. Dienstes des BT vom 16. März 2022) oder ob es irgendwelche Möglichkeiten gibt, diese zu liefern und einzusetzen, ohne dass deutsche Soldaten (zu offensichtlich) beteiligt sind. Mir scheint es eine lebensnahe Interpretation (wie der Jurist sagen würde), dass, vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung über die Lieferung der Taurusraketen, die u.a. von Bundeskanzler Scholz mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des Einsatzes deutscher Soldaten zur Bedienung, abgelehnt wird, hier – wahrscheinlich im Auftrag von Verteidigungsminister Pistorius, der für eine solche Lieferung ist – Szenarien entwickelt werden sollten, wie eine Lieferung ohne Einsatz deutscher Soldaten möglich sein könnte, um Argumente für eine Erlaubnis der Lieferung zu geben. Wenn ihr euch selbst ein Bild machen wollt, hier der Link zur Tonaufnahme.

Und – auch wenn das von vielen Kommentatoren anders gesehen wird – ist mein Eindruck aus dem Gespräch, dass das kaum möglich ist. Die Szenarien, wie sie den Einsatz deutscher Soldaten verschleiern wollen, sind dafür zu abenteuerlich und liefern eher Stoff für zukünftige James-Bond-Filme. Ein Einsatz der Taurus-Raketen ohne personelle Beteiligung deutscher Soldaten scheint nur in einem Zeitrahmen von mehreren Monaten umsetzbar zu sein, was den Einsatz erheblich verzögern würde und er daher evtl. erst nach Ende des Krieges erfolgen könnte.

Aber zurück zu dem Framing-Trick: Könnte (und sollte) die Diskussion sich nach diesem Leak zunächst darum drehen, ob hohe Militärs, trotz wiederholter Weigerung des Bundeskanzlers und auch negativer Entscheidung des Parlaments, in dem Gespräch den Einsatz von Taurus-Raketen geplant haben könnten oder ob sie dieses nur theoretisch durchgespielt haben, und generell, wie gefährlich eine solche Lieferung für Deutschland sein könnte, wurde die Diskussion sehr schnell zu ganz anderen Fragen gelenkt und so ein Perspektivwechsel vorgenommen. Die Fragen, die in der Berichterstattung der Medien und in der Kommentierung durch Politiker und Politikerinnen dominierten, waren nämlich die Folgenden:

  • Wer hat Generäle abgehört?
  • Wie konnte das passieren?
  • Wer hat das Gespräch geleakt?
  • Mit welchen bösen Absichten dahinter?
  • Wie wird es zu Desinformation genutzt?
  • Sind hochrangige Bundeswehrangehörige und Politiker erpressbar, weil ihre Gespräche abgehört werden?

D.h. die Aufmerksamkeit wurde geschickt verschoben von der Diskussion über den Inhalt des Gesprächs, über eine mögliche Illegalität des dort Besprochenen und die politische Brisanz dessen, hin zu einer Diskussion über das Abhören und Leaken dieses Gesprächs selbst, über die technischen Umstände und über die mögliche politische Intention des Leaks durch Russland. Die „Täter“ der ersten Frage, nämlich die Gesprächsführenden und ihre Vorgesetzten, die möglicherweise einen Angriff planten oder sich zumindest recht fahrlässig am Rande eines Kriegseintritts bewegen, werden durch das neue Framing zu „Opfern“ eines Abhörangriffs.

Soweit ich erkennen kann, haben sich fast alle großen Zeitungen, sowie Radio- und Fernsehbeiträge, zumindest in den ersten Tagen nach Bekanntwerden, in dieses Framing ziehen lassen und haben daher das Stellen der anderen relevanten Fragen den alternativen Medien überlassen.

Natürlich ist auch die Frage wichtig, wer unsere hochrangigen Militärs abgehört hat und wie das technisch möglich und damit auch in Zukunft zu vermeiden ist. Aber die erste Frage, inwiefern der Inhalt des Gespräches eine von der Bevölkerung und dem Parlament nicht unterstütze bzw. erlaubte Kriegsbeteiligung und einen Kriegseintritt gegen Russland darstellt bzw. wie groß die Gefahr davon ist, ist von mindestens ebenso großer Bedeutung.

Ein weiterer kleiner Framing-Handgriff, der mir in der Berichterstattung und Kommentierung aufgefallen ist, war der Folgende: Selbst wenn die Brisanz des Inhaltes des Gesprächs in seltenenen Fällen angesprochen wurde, wurde durch Formulierungen wie z.B., „es besteht die Gefahr, dass wir dadurch in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden“ angedeutet, dass dies eine passive und ungewollte Entwicklung wäre und keine, die Deutschland mit einer Entscheidung über die Lieferung der Taurus-Raketen und einen mit ihnen durchgeführten Angriff auf die Kerch-Brücke eventuell aktiv betreiben könnte.

Effektiv und geschickt ist auch die Betonung in fast allen Artikeln und Kommentaren zu der Affäre, dass eine Diskussion der Inhalte des Gesprächs und der Brisanz der Entscheidung der Lieferung von Taurus-Raketen und deutscher personeller Beteiligung an Angriffen „Putin in die Hände spielen würde“, um dies Perspektive zu delegitimieren und damit eine Diskussion über diese Punkte zu unterdrücken.

Es ist aus PR-taktischer Sicht nicht verwerflich, dass sich z.B. das Verteidigungsministerium mit diesen „Tricks“ aus der Affäre zu ziehen versucht und die öffentliche Diskussion zu diesem Thema steuern und beenden will. Was mich aber beunruhigt ist, wie folgsam fast sämtliche Medienvertreter diesen Framing-Verschiebungen gefolgt sind, obwohl es ihre Aufgabe als vierte Gewalt ist, die deutsche Staatsgewalt kritisch zu hinterfragen – und nicht nur die russische.

Diese Methode der Ablenkung von sehr entscheidenden Fragen, die in der Bevölkerung diskutiert werden sollten, durch sozusagen angrenzende, für die Regierenden und generell machtausübende Organisationen und Personen weniger brisante, scheint mir seit etwa zehn Jahren eine immer beliebter werdende und häufiger angewendete Methode zu sein.

Ich persönlich halte z.B. die Omnipresenz des Genderdiskurses und die Vehemenz, mit der dieser geführt wird, für eine solche Ablenkung. Nicht, dass dieser Diskurs nicht kulturelle, soziologische und politische Bedeutung hätte, aber die Art und Weise, wie dieses Thema  den politischen Debattenraum besetzt, die emotionale Aufladung, die es erreicht hat, und die Spaltung, die es in gesellschaftlichen Gruppen auslöst, scheint mir auch der Ablenkung von anderen, mindestens ebenso wichtigen politischen, geopolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Fragen zu dienen.

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