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Der PR-Krimi – Teil 2

27 Februar 2023
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(dies ist der 2. Teil meines Artikels für die Zeitschrift Politik + Kommunikation vom März 2017. Teil 1 finden Sie hier.

Methode 3: Wie war das noch?

Eine weitere bekannte Taktik von Krimiautoren ist das weiträumige Verstreuen von Fakten. Wichtige Elemente, die zur Lösung beitragen könnten, werden auseinander genommen und mit großem Abstand voneinander kommuniziert. Wenn die Leserin also den zweiten Teil der Information erhält, hat sie den ersten Teil schon wieder vergessen und kann so die zwei Teile nicht zu einem sinnvollen Zusammenhang verbinden.

In Agatha Christies Roman „The Clocks“ erfährt der Leser von einer Mrs. Bland, die  Nachbarin des Hauses ist, in dem ein Mord geschah, daß sie das einzige noch lebende Mitglied ihrer Familie ist. Später äußert dieselbe Frau in einem Gespräch mit Inspektor Hardcastle, daß ihre Schwester am gleichen Ort wohne. Der Abstand von fast vierzig Seiten zwischen diesen beiden Aussagen macht es der Leserin schwer, den offensichtlichen Widerspruch zu erkennen und daraus die Lösung des Krimis zu ermitteln. Denn „Mrs. Bland“ ist tatsächlich eine Hochstaplerin, die die Identität der ersten Ehefrau ihres Mannes annahm, um so an ein großes Erbe zu gelangen und die den Mord begangen hat, weil ihre falsche Identität aufzufliegen drohte und die sich in der zweiten Befragung verplapperte.

Methode 4: Peng!

It is, you see, the simple theory of the conjuring trick.
The attention cannot be in two places at once.
To do my conjuring trick, I need the attention focused elsewhere (…).“
(Christie, Three Act Tragedy, 157)

Das ist einer der „easiest and oldest tricks in the bag“: Die Aufmerksamkeit eines Menschen kann nur auf wenige Dingen gleichzeitig gerichtet sein. Um die Aufmerksamkeit von einem Thema oder einem Umstand abzulenken, verwenden Krimiautoren oft und gern einen Knalleffekt. Ein aufregendes Ereignis, das starke Emotionen hervorruft, wie ein Unfall, eine Hochzeit, eine Gefahr, etc. wird dazu genutzt, die Aufmerksamkeit von einer anderen wichtigen Situation abzulenken. Der Leser ist abgelenkt und achtet nur noch auf die Entwicklung der Liebesgeschichte oder bangt mit dem Helden wegen einer vermeintlichen Gefahr, passt nicht mehr auf und hört so andere, leisere Töne nicht mehr.

In der politischen Kommunikation wird diese Eigenschaft von Menschen ebenfalls z.B. bei Verabschiedung unbeliebter Gesetze genutzt, für die die Regierung eine Mehrheit im Parlament hat, von dem sie aber weiß, dass die Bevölkerung mehrheitlich dagegen ist. Diese werden dann zum Beispiel in den Sommerferien oder während der Endrunde der Fußballweltmeisterschaft verabschiedet, um auszunutzen, dass es weniger Zeugen gibt (Sommerferien) bzw. ein anderes Ereignis die Aufmerksamkeit der Journalisten und der Öffentlichkeit bindet.

Methode 5: Aber das ist doch viel spannender

Es gibt aber auch noch eine andere Form der Aufmerksamkeitsablenkung, die etwas subtiler ist als der Knalleffekt: Das Legen von „falschen Fährten“. Hier wird die Aufmerksamkeit der Leser nicht durch ein anderes Ereignis abgelenkt, sondern durch eine andere Frage, ein anderes Rätsel, eine andere Aufgabe. Ihre mentale Energie wird umgelenkt auf eine falsche Fährte, um die Aufmerksamkeit und die analytischen Fähigkeiten der Menschen zu „binden“ und sie so von der eigentlich wichtigen Hauptfrage abzulenken.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür waren die Reaktionen der NSA, der U.S.-amerikanischen Regierung, der U.S.-amerikanischen und sogar in großen Teilen auch der deutschen Berichterstattung über die neuesten leaks zu den Abhörtechniken der NSA via technischer Geräte von Apple und Samsung wie Fernseher und iPhone Apps (die sogenannten „vault 7 leaks“ durch wikileaks). Damit die Menschen sich nicht mit der eigentlichen Hauptfrage des Bruchs von Grundrechten, Strafrecht und Völkerrecht durch die Abhörmaßnahmen von Geheimdiensten beschäftigten, wurde die Aufmerksamkeit und das „Knobeln“ geschickt auf die folgenden Rätselfragen gelenkt: „Was sind die technischen Hintergründe, die diese Abhörtechniken erlauben?“, „Wie kann ich meine Geräte vor diesen Abhörtechniken schützen?“, „Wie ist diese Information nach außen geleakt? Wer hatte Zugang zu diesen Informationen und hat sie weiter gegeben? War es wieder ein Russischer Spion?“. Ich kann es natürlich nicht belegen, aber es scheint der NSA und der U.S.-amerikanischen Regierung auffällig stark in die Karten zu spielen, wenn 90% der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sich mit diesen Fragen, anstatt mit der Illegalität der Abhörmaßnahmen selbst beschäftigt. Zusätzlich haben die zwei Ablenkungsmanöver noch einen – sicher willkommenen Spin-Effekt:

Die erste Frage „Wie kann ich meine Geräte schützen?“ lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit von den illegalen Abhörtätigkeiten ab, sondern verschiebt subtil die Situation, so dass der Bürger das ganze als ein rein technisches Problem betrachtet (und nicht ein politisches), die Abhörmaßnamen werden mehr als eine Naturgewalt wahrgenommen, gegen die man politisch nichts unternehmen kann, sondern sich nur „schützen“ kann, wie gegen eine Sturmflut oder einen Stromausfall.

Bei dem sehr starken Fokus auf die zweite Frage: „Wer hat es geleakt?“ ist der Spin-Effekt noch ausgeprägter. Hier wird der Täter zum Opfer (die Nachrichtendienste). Durch das „whodunnit“ (auf Deutsch: „wer war der Täter“) – Framing, wird automatisch der Leaker bzw. Whistleblower zum Bösewicht. Wir beschäftigen uns im Rahmen des Framings (Deutungsrahmen) damit, wie ein solcher „Geheimnisverrat“ möglich war, wie die Nachrichtendienste sich davor schützen könnten und wie der Täter identifiziert, gefasst und dann bestraft werden sollte. Sehr leicht gehen Journalisten und die Bevölkerung solchen Framing-Verschiebungen auf den Leim und diskutieren das Thema dann nur noch in den vorgegebenen Leitplanken des neuen Framings.

Methode 6: Guck mal, wer da spricht

Eine letzte klassische Methode, um eine Information oder Botschaft nicht durchdringen zu lassen, bzw. zu verhindern, dass ihr Glauben geschenkt wird, ist die Diskreditierung der Quelle. Diese Methode hat gleichzeitig noch den erwünschten Nebeneffekt, dass sich die Öffentlichkeit sehr viel mehr mit dem Charakter, dem Privatleben, im optimalen Fall dem Intimleben der Quelle – Sex ist immer ein guter Aufmerksamkeitsmagnet – beschäftigt, als mit der von der Quelle stammenden Information.

Agatha Christie ist auch beim Diskreditieren der Quelle eine Meisterin. In ihrem Roman „A Murder is Announced“ kommen die wichtigsten und besten Hinweise zu tatsächlichen Tatverlauf von Dora Bunner, der Freundin und Haushälterin der Mörderin Miss Blacklock. Dora Brunner wird aber von der Autorin geschickt und über ihr Sprachrohr, den Polizeiinspektor Craddock, als vergesslich, zerstreut, konfus und völlig unzuverlässig charakterisiert. Jede ihrer Aussagen, die helfen könnte, den Tatverlauf zu klären und die Schuld von Miss Blacklock deutlich zu machen, wir dadurch sofort relativiert. Vor allem, weil ihre Vernehmung gemeinsam mit Miss Blacklock stattfindet, die als kompetent, klug und sachlich beschrieben wird und die den Aussagen von Dora Craddock immer sofort widerspricht.

Ein aktuelles Beispiele dieser Methode in der politischen Kommunikation ist die Berichterstattung über Julian Assange, den Gründer von wikileaks, gegen den, vermutlich weitgehend unfundierte Vergewaltigungsvorwürfe gemacht wurden, was unter anderem dazu diente, die Aufmerksamkeit weg von den durch wikileaks aufgedeckten Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte im Irak zu lenken und hin zur detaillierten Beschäftigung mit seinem Sexleben.

Diese Methode, die sehr effektiv ist, wird leider nicht nur von Geheimdiensten und Regierungen angewandt, sondern auch von einigen prominenten PR-Agenturen. Ein besonders bedenkliches Beispiel hierfür ist das Vorgehen von Richard Berman von der PR-Agentur Berman & Company, der nicht umsonst den Spitznamen „Dr. Evil“ trägt: In einem geleakten Vortrag vor Vertretern der Öl- und Gasindustrie im Oktober 2014 bot er an, für seine Kunden rufschädigende und beschämende Informationen über Umweltaktivisten, die gegen die XL-Pipeline in Kanada protestierten, zu recherchieren, um sie damit im öffentlichen Diskurs zu diskreditieren. (Quelle)

Die Auflösung

Diese Überlegungen sollen keine Anleitung zum Lügen sein. Vielmehr sollen sie dabei helfen, zu verstehen, wie die Aufmerksamkeit von Menschen geleitet wird, um darüber aufzuklären, wie Informationen versteckt und verzerrt werden können. Damit alle Akteure in der Kommunikation, die Professionellen wie die Laien, diese Methoden erkennen und auf sie reagieren können.

Und falls Sie es sich gefragt haben: Anders als es Reinhard Mey 1971 textete, ist der Gärtner in der klassischen Krimiliteratur sehr selten der Mörder. Worauf er wahrscheinlich hinweisen wollte und womit er recht hat, ist, dass der Mörder oft jemand ist, dessen Existenz wir kaum wahrgenommen haben, weil er im Hintergrund verschwand und dessen Rolle wir falsch gedeutet haben, da wir ihn nur in seiner Funktion als Gärtner gesehen haben und vergessen haben, dass er gleichzeitig noch ein eifersüchtiger Liebhaber, ein rachsüchtiger trauernder Vater, ein unehelicher Sohn, ein entkommener Sträfling oder Hunderte von anderen Identitäten haben könnte. Wir haben ihn aber nicht verdächtigt, weil der Autor unsere Aufmerksamkeit geschickt so gelenkt hat, dass wir ihn nur in seiner einen Rolle wahrgenommen haben.

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