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Wer bin ich im Netz? Identität und Internet

03 Dezember 2010
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Ich glaube, dass Identität auch etwas mit dem Erzählen von Geschichten zu tun hat. Identität kann man beschreiben als die Summe der Geschichten, die der Mensch sich über sich selbst erzählt und der Geschichten, die Andere über ihn erzählen. Geschichten waren immer der Sinnzusammenhang, in den der Mensch seine Sinneseindrücke und Erfahrungen geordnet hat, um sie zu verstehen, aus ihnen zu lernen und ihnen einen Sinn zu geben. Eine Definition von geistiger Gesundheit ist die Fähigkeit, sich eine sinnvolle Geschichte über sich und die Welt zu erzählen.

Das Internet ist nun ein Forum geworden, auf dem sich alle diese Geschichten sammeln. War es bis vor ein paar Jahren noch der Ort der Möglichkeiten, auf dem verschiedene alternative Identitäten ausprobiert werden konnten (Second Life etc.), so ist es inzwischen, durch die große Vernetzung und die Verfeinerung der Suchmaschinen im Gegenteil zu dem Ort größtmöglicher Transparenz geworden. Das Netz saugt wie ein Magnet alle verstreuten Späne der Identitätsspuren und Geschichten zusammen und nun steht man “warts and all” oder “mit heruntergelassener Hose” (im Falle von ChatRoulette sogar wörtlich) vor der Öffentlichkeit. Diese identitätskonstituierende Narration ist keine lineare Geschichte und keine Menge von nebeneinander stehenden Geschichten mehr, sondern eine Art in sich vernetzter Hypertext geworden. So ist es kein Wunder, dass wir davon manchmal überfordert sind.

Wie ist mit dieser gläsernen Identität umzugehen? Ich glaube, es wird eine der größten Herausforderungen für die Menschen sein, ebenso wie für die Firmen und Marken, die im Netz auftreten, eine neue Fehlerkultur zu entwickeln. Wir sind nicht perfekt und das ist auch gut so! Im Netz können wir diese Illusion oder Maske nicht mehr aufrechterhalten. Wer damit nicht offensiv oder aktiv umgeht, dem wird diese Maske der Perfektion und Fehlerlosigkeit heruntergerissen. Wir können mit dieser Lupe, unter der unsere Fehler, Irrwege, Brüche sichtbar werden, am besten umgehen, wenn wir sie uns eingestehen und erlauben. Was bedeutet das? Für Firmen, Institutionen, Politiker bedeutet es, in einen offenen Dialog mit den Menschen zu treten, in dem auch Kritik erlaubt ist. Für Menschen, Unternehmer wie Privatpersonen, könnte es bedeuten, als ganzer Mensch im Netz in Erscheinung zu treten und mit seiner Persönlichkeit zu überzeugen. Als Beispiel fällt mir dazu die Game-Designerin Jane McGonigal ein, die auf ihrem Blog vieles Private von sich berichtet . Sie gewinnt dabei (bei mir und sicher auch bei vielen anderen Lesern) an Glaubwürdigkeit und Liebenswürdigkeit und ich bin sicher, dass das ihrem Alternate-Reality-Games-Geschäft hilft.

Vielleicht ist es also gut, dass das Internet uns zwingt, zu akzeptieren, dass wir Menschen (wie es in der Game-Branche heißt) uns noch – und wohl immer – in der Beta-Phase befinden!

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