Dies ist die schriftliche Version eines Vortrags, den ich am 17. April 2010 auf der re:campaign 2010 in Berlin gehalten habe.
Die vollständigen Folien zu dem Vortrag gibt es hier (leider hat das Layout bei der Konvertierung etwas gelitten):
Maike Gosch – Geschichten, Spiele und Kampagnen
Eine Podcast-Aufnahme des Vortrags gibt es hier.
Ich glaube daran, dass wir von allen Disziplinen etwas lernen können und dass es sich lohnt über den Tellerrand zu schauen. Daher möchte ich einige der Dinge, die ich als Drehbuchautorin gelernt habe und einige Dinge, die ich über das Entwickeln von Games gelernt habe, schildern, weil daraus vielleicht ein paar interessante Anregungen für Kampagnen gezogen werden können
A. Geschichten
– Unterschätze die Kraft einer guten Geschichte nicht –
Was können wir von Drehbuchautoren lernen? Drei wichtige Elemente bei der Konstruktion eines Drehbuchs oder eines Romans sind die Elemente:
– Spannung
– Empathie
– Struktur
1. Spannung:
Wie schaffe ich Spannung? Wie erreiche ich es, dass der Zuschauer nicht zum nächsten Sender weiterschaltet, der Leser die nächste Seite umblättert, der Internet-Benutzer auf einer Seite hängen bleibt, der Teilnehmer an einer Kampagne das Interesse behält? Drehbuchautoren benutzen hierzu einige der folgenden Techniken:
Stelle eine Frage und beantworte sie nicht (sofort)
Es gibt eine Hollywood-Regel, die besagt: Bring sie zum Lachen, bring sie zum Weinen, lass sie WARTEN. Gibt nicht alles sofort preis. Lass den Leser/Spieler/Kunde warten, antizipieren, sich nach einer Antwort, einer Erklärung einer Auflösung sehnen.
Das ist auch einer der Gründe, warum Krimis und Liebesgeschichten bis heute die beliebtesten Genres, sowohl in der Literatur als auch in Film und Fernsehen sind. Sie leben von einem starken geraden Spannungsbogen: Wer war der Mörder und wird er gefasst? Wird das Paar sich kriegen? Diese – bis zum Schluss offen gelassenen – Fragen bringen den Leser oder Zuschauer dazu, bis zur Auflösung der offenen Frage, des Rätsels an der Geschichte interessiert zu sein.
2. Empathie
Empathie= Verbindung zwischen Figur und Zuschauer/User durch Identifikation
Am Beginn einer Geschichte ist es die Hauptaufgabe eines Autors oder einer Autorin, Empathie zwischen der Hauptfigur, oder der Figur, aus deren Perspektive wir die Geschichte jeweils erleben, und dem Leser/Zuschauer zu schaffen. Empathie ist wie ein leuchtendes Band, dass das Schicksal dieser beiden verknüpft. Es ist die Identifikation mit dem Schicksal der Figur. Was ihr widerfährt, widerfährt auch uns. Wie schafft man also Empathie?
Identifikation durch: Wiedererkennbarkeit, Notlage und positive Eigenschaften
Die Figur muss für uns als menschlich erkennbar sein, wir müssen in ihr die gleichen Gefühle wie in uns erkennen (dabei ist unerheblich, ob es sich bei der Figur um eine literarische Fiktion, um einen Schauspieler in einer Rolle oder um ein aus wenigen Pixeln bestehendes digitales Wesen handelt). Unser Mitgefühl wird besonders stark geweckt, wenn wir eine Figur in Not sehen, wenn wir jemanden sehen, der etwas verloren hat, oder der Hilfe braucht. Wir werden aber dann am stärksten mitfühlen, wenn die Figur zusätzlich noch Eigenschaften hat, die wir gerne hätten, mit der wir uns gerne identifizieren, wie Mut, Witz, Stärke, Hilfsbereitschaft.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Figur des Harry Potter: Wir erkennen uns in ihm wieder, denn er ist unsicher, fühlt sich ungeliebt und unverstanden in seiner Familie, eine Erfahrung, die meisten von uns in der einen oder anderen Weise einmal erlebt haben (Wiedererkennbarkeit), er hat seine Eltern verloren und ist Waise und er wird von seiner neuen Eltenr schlecht behandelt (Notlage, Verlust), aber er ist mutig, witzig, tapfer und gibt nicht auf (positive Eigenschaften, Stärke).
Figur muß kein Mensch, nur „menschlich“ sein. (Bsp. Tweenbot)
Diese Empathie funktioniert selbst, wenn es nur ein kleiner Papp-Roboter ist, den eine amerikanische Studentin durch Manhattan geschickt hat, um den Central Park zu finden (wie in dem Tweenbot-Experiment). Zu ihrer Überraschung, waren immer genug der notorisch gehetzten, aggressiven und ignoranten New Yorker bereit, dem kleinen Roboter namens „Tweenbot“ zu helfen, so dass er in allen Versuchen sicher am Zielort ankam.
Tweenbots from kacie kinzer on Vimeo.
3. Struktur:
Ein weiteres wichtiges Instrument der Dramaturgie ist die Struktur einer Geschichte, die traditionell in drei Akte gegliedert ist. Im ersten Akt wird die Welt etabliert, im zweiten Akt findet der Hauptkonflikt statt und am Ende des dritten Aktes erfolgt die Auflösung.
Exposition: In der Exposition etablieren wir die Welt, die Situation, in der wir uns befinden und führen die handelnden Personen ein. Hier wird die Atmosphäre (humorvoll, ernst, sehnsüchtig, technisch) etabliert. Es wird ein „magischer Kreis“ um die Geschichte gezogen: In welcher Welt befinden wir uns für diesen Film, diese Geschichte, diese Kampagne? Welche Regeln gelten hier?
Jede Geschichte ist eine Welt für sich. Der Zuschauer/Teilnehmer braucht schnell klare Eckdaten, damit er sich orientieren kann (Wer bin ich? Wer sind die anderen? Worum geht es? Was gibt es zu gewinnen oder zu verlieren?)
Konflikt: Hier wird gezeigt, welche antagonistischen Kräfte sich gegenüber stehen? Worum kämpfen sie? Wie ist ihre relative Stärke? Was hängt davon ab? Hier ist es wichtig, den Verlauf des Konfliktes oder Kampfes spannend und lebendig zu schildern und darzustellen. Das gilt auch für Kampagnen: Gegen welche Umstände, Realitäten, Mißstände kämpfen wir gemeinsam? Wie stehen unsere Chancen? Welche Ressourcen werden benötigt? Welche Siege sind schon errungen, welche Niederlagen erlitten worden?
Lösung: Der Ausgang der Geschichte: Wer gewinnt? Was passiert mit der Hauptfigur? Eine Geschichte (ebenso wie eine Kampagne) ist unbefriedigend ohne eine Lösung. Wir wollen wissen, wie die Geschichte ausgeht, ob unsere Mühe des Mitfühlens und Mitfieberns sich „gelohnt“ hat.
4. Fazit: Was können wir daraus für Kampagnen lernen?
Empathie durch persönliche Geschichten – Menschen statt Fakten: Wecke die Empathie, indem du dein Anliegen nicht als abstrakte Geschichte erzählst, sondern als die Geschichte eines Menschen (personalisieren).
Genre: Kampf, Abenteuerreise, Krimi, Liebesgeschichte: Kannst du Dein Anliegen in eine Geschichte kleiden, die den Leser interessiert, z.B. indem du sie als die Geschichte eines Heldenkampfes erzählst? Als Abenteuerreise? Als Krimi? Als Liebesgeschichte? Lerne von den Genreregeln, nutze ein Brainstormen über die verschiedenen Genres, um neu und frisch über die Kampagne nachzudenken.
Tonfall: Finde einen besonderen Ton: emotional, wahrhaftig, originell, skurril, humorvoll.
Stelle auch deine Firma/deine Organisation als Verbund von Menschen und nicht abstraktes Gebilde vor, indem du die an ihr beteiligten Menschen vorstellst und auch ihre Geschichte erzählst (nicht nur die des Geschäftsführers oder eines Prominenten Schirmherrn): Warum engagieren sie sich? Was sind ihre Hoffnungen und Träume? Was gibt ihnen Mut und macht sie optimistisch?
Vorsicht mit negativer Motivation: Auch wenn das Leiden anderer Menschen oder Bilder der zerstörten Natur Empathie wecken, kann eine zu negative Darstellung den Impuls auslösen, das Bild, die Website wegzuklicken oder sogar eine Abwehrreaktion hervorrufen. Es muss immer deutlich sein, dass der Besucher der Seite etwas tun kann, dass das Engagement, der Kampf Aussicht auf Erfolg hat. Zeige den Menschen eine positive Vision davon, wie die Welt aussehen könnte, wenn er/sie mithilft. Menschen brauchen Hoffnung.
Ziel: Benenne ein klares Ziel (wir wollen 100.000 Teilnehmer, 100.000 Euro sammeln) und zeige und feiere, wenn es erreicht ist.
Zusammen gefaßt: Keep it personal, keep it interesting, keep it positive!
B. Spiele
– Unterschätze den Spaßfaktor nicht –
Was können wir von Spielen lernen?
Was ist ein Spiel?
Was macht ein Spiel aus? Und was unterscheidet es von der Realität? Spiel, wie Humor, ist nicht etwas, dass in der Außenwelt besteht, sondern es ist eine Haltung mit der wir auf die Realität gucken. So wie alles lustig sein kann, so kann alles ein Spiel sein. Es liegt nur an uns.
Was sind also die Vorteile, ein Problem oder eine Situation mit einer spielerischen Haltung zu begegnen?
1. Effekte des Spiels
Leichtigkeit: Der erste Effekt einer Spiele-Haltung ist ein sofortiges Gefühl von Leichtigkeit. Plötzlich fällt die Last der Wirklichkeit von uns ab. Das ist „nur ein Spiel“ und daher etwas, mit dem wir fertig werden, etwas, das keine fatalen oder endgültigen Konsequenzen haben wird.
Freiheit: Das zweite ist ein Gefühl von Freiheit. Das wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich, denn ein Spiel beinhaltet immer ziemlich klare und strenge Regeln. Ich glaube, dass dieses Gefühl von Freiheit daher kommt, dass wir uns – in dem wir ein Spiel beginnen – der Regeln bewusst werden. Aber die Regeln sind Menschen gemacht und veränderbar, sie sind anders in einem anderen Spiel. Wir alle müssen im Alltag, im „richtigen Leben“ jeden Tag eine Unzahl von Regeln befolgen, derer wir uns nur teilweise bewusst sind. Aber da wir unser Leben nicht als Spiel betrachten, merken wir nicht, dass die meisten dieser Regeln ebenfalls nur durch Menschen gemacht sind und – zumindest theoretisch – ganz anders lauten könnten, wir handeln als wären sie Naturgesetze. Deswegen fühlt sich das Leben manchmal so eng und erdrückend an. Indem wir uns auf die einfachen und klaren Regeln eines Spiels konzentrieren, werden wir uns dieser anderen Regeln bewusst und befreien uns von ihnen. Und im Rahmen des Spiels, im magischen Kreis, gelten nur diese und das ganze Netz unserer Alltagsregeln fällt weg.
Möglichkeit: Das dritte Gefühl, das sich einstellt, ist das Gefühl von Möglichkeit. Im Spiel sind wir nicht (oder nur in einem geringen Maß) begrenzt durch unsere Ängste, Unfähigkeit, emotionalen Ballast, unser Versagen, dem Bild, das Menschen von uns haben. Wir sind frisch und neu wie leeres Blatt Papier.
Fähigkeit: Das vierte Gefühl, ist das Gefühl von Fähigkeit. Wenn wir ein Spiel spielen, können wir davon ausgehen, , dass es mehr oder weniger auf unsere Fähigkeiten abgestimmt ist und wir eine faire Chance haben, alle Herausforderungen und Schwierigkeiten, die es im Verlauf an uns stellen wird, zu überwinden und das Spiel zu gewinnen. Ein Gefühl, das wir in der Realität außerhalb des Spiels nur sehr selten haben.
Wenn man sich diese Aspekte vor Augen hält, fällt es nicht mehr schwer zu verstehen, warum wir – in den Worten des Ökonomen Edward Castranova – einen Massenexodus der Jugend in Virtuelle Welten erleben. Online-Spiele-Welten sind für sie leichter, machen mehr Spaß, sind erfüllender und ergeben mehr Sinn als die wirkliche Welt.
2. Wie können wir die Welt und Kampagnen spielerischer gestalten? Wie kriegen wir die Menschen zum „mitspielen“?
In dem wir in die Kampagne Elemente eines Spiels einbauen:
Herausforderungen und klare Ziele: Konfrontiere die Teilnehmer mit einer klaren Aufgabe und gib ihnen das Gefühl, dass sie sie tatsächlich lösen können.
Level: Ist es möglich, das Spiel/die Teilnahme an der Kampagne in kleinere leicht machbare Level zu unterteilen? So kann man dem Teilnehmer das Gefühl geben, er kann leicht einsteigen und leicht aufsteigen. (s. die Lehren aus dem Buch „Flow“: immer herausfordern – nie überfordern). Leicht schaffbare Einstiegslevel senken die Hemmschwelle, mitzumachen (s. FarmVille).
Feedback: Menschen wollen und brauchen Feedback, das Gefühl, wahrgenommen und anerkannt zu werden. Feedback ist dann besonders motivierend, wenn es nicht zu 100% vorhersehbar ist. Ein Element der Zufälligkeit ist gut und hält die Spannung aufrecht.
Punkte: Punkte geben den Spielern ein Feedback dazu, wie viel sie schon erreicht haben und lässt sie sich mit anderen Spielern vergleichen, was wiederum zu höheren Leistungen motiviert.
Belohnung: Kannst du die Teilnehmer durch Belohnungen und Lob dazu bewegen, ein erwünschtes Verhalten anzunehmen? Dafür kann es auch schon genügen, dass ein Edelstein bunt aufleuchtet, wenn man ihn anklickt. Menschen sind im Innersten immer auch Kinder, schon eine kleine Belohnung genügt.
Geschichte (s.o.)
Einbeziehung: Menschen werden sich mit einem Projekt, einer Kampagne, einer Aktion viel verbundener fühlen, wenn sie eine aktive und gestaltende Rolle bei ihr gespielt haben (und nicht nur Geld gespendet haben). Es ist eine einfache psychologische Regel, dass Menschen nicht am meisten an den Dingen und Personen hängen, die ihnen viel gegeben haben, sondern an denen, in die sie am meisten investiert haben (s. die Gefühle für den undankbaren Ex). Wenn Du es also durch Spaß und niedrige Einstiegsbarrieren schafft, dass die Menschen etwas beitragen oder hinzufügen (auch wenn das nur heißt, dass sie ihrem Avatar Rastalocken verpassen), werden sie länger auf der Website verbringen, sich der Aktion verbundener fühlen und viel eher motiviert sein, ihren Freunden davon zu erzählen oder die Seite zu verlinken, denn jetzt ist es auch „ihre Kampagne“. Das bezieht sich auf alle Elemente: Denk an ein 3-jähriges Kind und was es braucht, um die Bausteine aufeinander zu setzen: Lob, Spaß, Feedback, Hilfe.
Verbindung: Menschen brauchen und genießen das Gefühl mit der Welt und anderen Menschen verbunden zu sein. Alles, was ihnen hilft, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen, gemocht, anerkannt, verstanden zu werden, ist sehr anziehend. Selbstverständlich sollte man dieses Bedürfnis nicht (wie viele Computerspiel-Firmen) manipulativ benutzen. Bsp.: Zeigen, wie viele Leute in Deiner Stadt schon geholfen haben. Grundsätzlich: Sei ehrlich, offen, herzlich und Menschen werden ebenso reagieren.
Spielspaß: Kannst du etwas auf deiner Website einbauen, das mit den Benutzern spielt, ihre Neugierde weckt, oder ihre Reaktionen in ein Spiel einbaut? Wie zum Beispiel die „spiral wishing wells“ (Spiral-Spenden-Brunnen) in Londoner Museen, in denen die gespendete Pfund-Münze, in einem Marmorbecken spiralförmig herunterrollt, bevor sie verschwindet.
Inspiration für dieses Paper: